Liquiditätsmanagement ist die Lebensader jedes Unternehmens. Doch “Liquidität” ist nicht gleich “Liquidität” — je nachdem, wie Sie sie definieren, treffen Sie andere Entscheidungen, gehen andere Risiken ein und müssen mit unterschiedlicher Komplexität in der Ermittlung umgehen.
In diesem Beitrag erfahren Sie:
- Welche Definitionsebenen von Liquidität es gibt,
- Wie sich die Risikoprofile unterscheiden,
- Wie diese Definitionen zur klassischen Liquidität 1., 2. und 3. Grades abzugrenzen sind,
- Welche Komplexität bei der Ermittlung auf Sie zukommt,
- Und welche Handlungsempfehlungen sich daraus ergeben.
Die drei Definitionsebenen von Liquidität
- Cash (enge Definition)
- Definition: Nur die tatsächlichen Kontosalden auf Bankkonten + Kassenbestände.
- Beispiel: Bankguthaben, Kassenbestände.
- Wichtig: Keine Forderungen oder sonstigen kurzfristigen Vermögenswerte enthalten.
- Net Cash Fund
- Definition: Liquide Mittel plus sehr kurzfristige Forderungen minus kurzfristige Verbindlichkeiten.
- Typische Bestandteile:
- Liquide Mittel
- + kurzfristige Forderungen (z.B. Kundenforderungen, die sehr bald fällig sind)
- – kurzfristige Verbindlichkeiten (z.B. offene Lieferantenrechnungen)
- Ziel: Abbilden, was an verfügbaren Mitteln da ist, wenn sehr bald zu- und abfließende Beträge berücksichtigt werden.
Formel:
Net Cash Fund = Liquide Mittel + kurzfristige Forderungen – kurzfristige Verbindlichkeiten
- Net Working Capital
- Hier wird noch breiter gedacht:
- Liquide Mittel
- + kurzfristige Vermögenswerte (Forderungen, Vorräte etc.)
- – kurzfristige Verbindlichkeiten (Lieferanten, kurzfristige Kredite etc.)
- Effektiv: Du rechnest das gesamte Working Capital (Umlaufvermögen minus kurzfristige Verbindlichkeiten) mit ein.
Formel:
Net Working Capital ≈ Working Capital (sehr kurzfristig definiert)
Zusammenfassung:
Begriff | Umfang | Anmerkung |
Cash | Nur Bank + Kasse | extrem liquide |
Net Cash Fund | Cash + Forderungen – Verbindlichkeiten | kurzfristig verfügbar |
Net Working Capital | Net Cash Fund + weitere Umlaufvermögen (z.B. Vorräte) | noch breiter, eher Liquiditätsperspektive auf Working Capital |
Warum diese Unterscheidungen wichtig sind
- Reporting: Je nach Adressat und Zweck (z.B. Investoren, Banken) werden unterschiedliche Definitionen von Liquidität verlangt.
- Krisenszenarien: In Stresssituationen interessiert oft der “echte” verfügbare Cash – dann eher die enge Definition.
- Planung: Für rollierende Cashflow-Planung (z.B. bei COMMITLY) macht es Sinn, Forderungen und Verbindlichkeiten (= Offene Posten) einzubeziehen.
Risikoprofile der Definitionen
Diese unterschiedlichen Cash-Definitionen haben unterschiedliche Risiko-Profile, weil sie sich darauf beziehen, wie sicher du auf diese Mittel zugreifen kannst.
Hier eine strukturierte Übersicht zur Risiko-Klassifikation:
1. Cash (nur Kontosalden und Kasse)
- Risiko: Sehr niedrig
- Grund: Sofort verfügbar. Keine Unsicherheit. Kein Ausfallrisiko.
- Typisches Risiko:
- Bankrisiko (z.B. Insolvenz einer Bank → durch Einlagensicherung meist begrenzt)
- Währungsrisiko (bei Fremdwährungskonten)
2. Net Cash Fund (Cash + Forderungen – Verbindlichkeiten)
- Risiko: Mittel
- Grund: Forderungen könnten nicht oder später bezahlt werden; Verbindlichkeiten können sich früher fällig stellen als geplant.
- Typische Risiken:
- Forderungsausfallrisiko: Kunden zahlen verspätet oder gar nicht.
- Forderungsqualitätsrisiko: Forderungen können zwar bestehen, aber sind schwer eintreibbar (z.B. in Krisen).
- Verbindlichkeiten: Lieferanten oder Banken fordern kurzfristige Zahlungen schneller ein (Liquiditätsengpass).
- Zusatz: Forderungen ≠ Cash → “Near Cash” mit Unsicherheiten.
3. Net Working Capital
- Risiko: Hoch
- Grund: Enthält Positionen wie Vorräte, die im Notfall nicht sofort liquidiert werden können oder nur mit Abschlägen.
- Typische Risiken:
- Vorratsbewertung: Lagerbestände verlieren an Wert (Obsoleszenz, Verderb, Marktpreiseinbruch).
- Liquidationsrisiko: Vorräte müssen evtl. unter Wert verkauft werden.
- Timing-Risiko: Verkauf dauert Zeit, Liquiditätsbedarf ist aber sofort.
Zusammengefasst als Risiko-Skala
Definition | Verfügbarkeitsrisiko | Typische Risiken |
Cash | Sehr niedrig | Bankrisiko, Währungsrisiko |
Net Cash Fund | Mittel | Forderungsausfall, Frühfälligkeit von Verbindlichkeiten |
Net Working Capital | Hoch | Lagerabwertungen, Liquidationsverzögerungen |
Je breiter die Definition, desto größer die Unsicherheit, ob die Mittel wirklich schnell verfügbar sind.
Praxis-Tipp
- Für Liquiditätssteuerung: Immer zuerst auf Cash und Net Cash Fund fokussieren.
- Für Unternehmensbewertung oder Krisenszenarien: Net Working Capital besser nicht als kurzfristig verfügbar darstellen, weil hohe Unsicherheiten bestehen.
Abgrenzung zu Liquidität 1., 2. und 3. Grades
Die Liquiditäten der unterschiedlichen Grade sind klassische Kennzahlen zur Liquiditätsanalyse eines Unternehmens, speziell in der Bilanzanalyse.
Hier die Definitionen:
Liquiditätsgrad | Formel | Bedeutung | Zielgröße |
Liquidität 1. Grades (Barliquidität) | Liquide Mittel ÷ kurzfristige Verbindlichkeiten × 100 | Kann das Unternehmen seine kurzfristigen Schulden nur mit Bargeld/Bankguthaben begleichen? | 20–30% |
Liquidität 2. Grades (einzugsbedingte Liquidität) | (Liquide Mittel + kurzfristige Forderungen) ÷ kurzfristige Verbindlichkeiten × 100 | Können kurzfristige Verbindlichkeiten mit liquiden Mitteln und bald fälligen Forderungen gedeckt werden? | 100% |
Liquidität 3. Grades (umsatzbedingte Liquidität) | (Liquide Mittel + kurzfristige Forderungen + Vorräte) ÷ kurzfristige Verbindlichkeiten × 100 | Können kurzfristige Verbindlichkeiten mit dem gesamten Umlaufvermögen gedeckt werden? | 120–200% |
Vergleich zu den “Cash Fund” Definitionen:
Begriff | Deutsches Pendant | Unterschiede |
Cash (nur Kontosalden) | Liquidität 1. Grades | Fast identisch |
Net Cash Fund (Cash + Forderungen – Verbindlichkeiten) | Ähnlich Liquidität 2. Grades | Aber Netto-Sicht (Saldo), nicht nur Verhältnis |
Net Working Capital (inkl. Vorräte) | Liquidität 3. Grades | Ähnlicher Umfang, aber du betrachtest oft absolute Mittel statt nur Relation zu Schulden |
Der entscheidende Unterschied:
- Liquidität 1–3 sind Verhältniszahlen (Quoten, Prozentsätze), sie messen “Deckungsgrade” bezogen auf kurzfristige Schulden.
- Die Funds (Cash Fund / Net Cash Fund) sind eher absolute Beträge: Wie viel liquide Substanz hast du effektiv verfügbar?
Kurz:
- Liquidität 1/2/3 = Verhältnisse (in %)
- Cash Fund / Net Cash Fund = Beträge (€)
Achtung: Die klassischen Liquiditätsgrade messen Verhältnisse (Prozentsätze), während die Fund-Definitionen absolute Beträge betrachten.
Komplexität in der Ermittlung
Je weiter du dich von Cash entfernst, desto komplexer und unsicherer wird die Ermittlung. Hier eine strukturierte Gegenüberstellung, die genau auf diesen Punkt eingeht:
Gegenüberstellung: Komplexität der Ermittlung
Kriterium | Cash | Net Cash Fund | Net Working Capital |
Ermittlung | Sehr einfach: Bank- und Kassensalden direkt aus Kontoauszügen / Buchhaltung | Mittel: Liquide Mittel + Forderungen – Verbindlichkeiten → erfordert Auswertung offener Posten (Debitoren, Kreditoren) | Hoch: Zusätzlich Bewertung von Vorräten/sonstigem Umlaufvermögen nötig |
Datenquellen | Bankbuchungen, Kassenbuch | Debitorenbuchhaltung, Kreditorenbuchhaltung, Zahlungsziel-Analysen | Debitoren/Kreditoren + Lagerbewertung, ggf. Inventuren oder Vorratsabschläge |
Aktualisierungs-frequenz nötig | Hoch (täglich/mehrmals wöchentlich sinnvoll) | Mittel (wöchentlich/monatlich) | Niedrig bis mittel (monatlich oder Quartalsweise üblich) |
Bewertungsspielraum | Kein Spielraum (Salden sind fix) | Spielraum bei Einschätzung, wann Forderungen/Verbindlichkeiten fällig werden | Deutlicher Spielraum bei Vorratsbewertung (z.B. Abschreibungen, Marktpreise) |
Risiko von Fehlern | Gering | Mittel (Forderungen können falsch bewertet oder übersehen werden) | Hoch (Vorräte können zu optimistisch angesetzt sein) |
Aufwand der Ermittlung | Gering | Mittel | Hoch |
IT-/Systeman-forderungen | Gering (Bankanbindung, Kontoauszüge) | Mittel (offene Posten, Fälligkeitsanalysen, ERP-Schnittstellen) | Hoch (Bestandsführung, Bilanzierungsvorgaben, ggf. manuelle Nachbearbeitung) |
Je mehr Bestandteile einbezogen werden, desto aufwändiger und unsicherer wird die Liquiditätsermittlung.
Zusammengefasst
- Cash:
✅ Einfach
✅ Sehr zuverlässig
✅ Geringe Fehleranfälligkeit - Net Cash Fund:
➡️ Erfordert Buchhaltungsdaten und Fälligkeitsanalysen
➡️ Risiko durch Zahlungsausfälle oder frühere Forderung von Verbindlichkeiten - Cash Fund:
🔥 Komplex (Bewertung von Vorräten)
🔥 Deutlich höhere Unsicherheiten bei tatsächlicher Verfügbarkeit
🔥 Hoher Aufwand und Interpretationsspielraum
Handlungsempfehlungen und Tipps
- Operationales Cash-Management: Arbeiten Sie für den Tagesbetrieb mit der engsten Definition (Cash).
- Forecasting: Ziehen Sie für kurz- bis mittelfristige Planung den Net Cash Fund heran (inkl. Forderungen und Verbindlichkeiten).
- Strategische Analysen: Nutzen Sie das Net Working Capital nur für längerfristige oder bilanzielle Bewertungen, aber nicht für kurzfristige Liquiditätsentscheidungen.
- Datenqualität sicherstellen: Bei Net Cash Fund und Net Working Capital sind aktuelle und korrekte Buchhaltungsdaten essenziell.
- Transparenz schaffen: Kommunizieren Sie klar, welche Definition Sie verwenden — intern und extern. Unterschiedliche Erwartungen können sonst zu gravierenden Missverständnissen führen.
Fazit
Die Wahl der richtigen Liquiditätsdefinition ist kein rein technisches Thema — sie entscheidet über die Sicherheit, Geschwindigkeit und Genauigkeit Ihrer Finanzentscheidungen. Wer das Risiko und die Komplexität nicht richtig einschätzt, läuft Gefahr, Liquiditätsengpässe zu übersehen oder sich in aufwändigen, fehleranfälligen Berechnungen zu verlieren.
Tipp zum Schluss: Starten Sie immer mit “Cash” und erweitern Sie Ihre Betrachtung nur, wenn der Informationsgewinn die erhöhte Komplexität rechtfertigt.